Die Endzeiterwartung der Frühen Freunde (Quäker)
Gedanken über einen Podcast zur Letzten Generation und der Endzeiterwartung der Frühen Freunde (Quäker)
Intro
Einleitend ein paar Worte zur Entstehung dieses Textes. In den letzten Krefelder Quäker-Andachten habe ich eingangs immer eine Episode aus der frühen Quäker-Geschichte erzählt. Inzwischen stellte ich fest, dass soviel Namen, Daten und Geschehnisse darin vorkomen, dass ich das noch mal verschriftlichen möchte.
Der Ausgangspunkt
rbbKultur hat einen Podcast mit dem Titel “HITZE – Letzte Generation” gemacht, der mich zum Nachdenken gebracht hat. Der Podcast setzen sie sich mit ihrer Protestform und aber auch mit den Strukturen, der Letzte Generation (LG) auseinander. Im Gegensatz zu z.B. Fridays for Future (FFF), ist die LG sehr viel straffer und zentralistisch bzw. hierarchisch organisiert. Das Argument von LG hierfür ist, es gäbe keine Zeit mehr für zeitraubende Abstimmungen im Anbetracht der drohenden Klimakatastrophe. Man brauche deswegen eine effiziente Struktur, die schnell reagieren kann. Die Angst vor der Zukunft wird (offensichtlich) gezielt eingesetzt, um Mitstreitern zu Requirierung und zu Mobilisierung.
FFF ist bekannter Weise wesentlich loser organisiert. Das führte in der jüngeren Vergangenheit jedoch auch zu Problemen. So sah sich die Deutsche Sektion im Kontext des Terrorangriffs in Israel gezwungen, sich von den Aussagen der Internationalen Organisation und insbesondere von Greta Thunberg zu distanzieren. Hier steht der Vorwurf des Antisemitismus im Raum. Durch die lose Organisation ist bei FFF nicht immer klar, wer in dem Stimmenwirrwarr autorisiert ist und wirklich für FFF spricht.
Aber auch die LG sieht sich mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert, durch den Umgang mit Roger Hallam und direkt durch die Führung von der LG. Bei der LG bereitet mir aber auch ganz generell das Fehlen von Checks and Balances sorgen.
Die (exemplarischen) Probleme dieser beiden jungen Organisationen erinnern mich ein wenig an die stürmischen Anfänge der Frühen Freunde (Quäker). Zum einen die starke Endzeiterwartung und zum anderen die Suche nach der richtigen Organisationsform, aber auch das Ringen um das richtige Maß zwischen brennender Leidenschaft und Vernunft (“listen to the science!”).
Rückblick in die Geschichte
Um das zu verdeutlichen, sei eine kurze Rückblende zu den Anfänge der Quäkertums gestattet. 1517 veröffentlicht Luther seine 95 Thesen. In der Zeit von 1522-1534 schreibt und veröffentlicht Luther seine Bibelübersetzung. 1536 konvertiert Menno Simons zur der noch jungen Täuferbewegung.
1604 verdammte die anglikanische Bischofskonferenz sowohl den puritanischen (protestantischen) als auch den katholischen Glauben in England. 1611 erfolgt die Erstveröffentlichung der englischsprachigen King-James-Bibel. Von 1642 bis 1649 tobt der Englische Bürgerkrieg, der auch und vorallem ein Religionskrieg war. 1645 wird die New Model Army gegründet. In ihr wurde die Kommandogewalt ohne Rücksicht auf die soziale Rangfolge vergeben und es wurden besonders viele Befehlshaber mit puritanischen Anschauungen eingestellt. Armeegeistliche ermutigten Soldaten zum Bibelstudium und zu Gesprächesrunden über religiöse Fragen. So wurden die Fragen des Glaubens, auch Thema in einer breiten Gesellschaftsschicht. Theologische Themen wurden nicht mehr nur unter Geistlichen und Akademikern geführt, sondern in der breiten Bevölkerung. Nicht zuletzt auch Dank der ins Englische übersetzten Bibel.
Das waren Zeiten heftiger Umbrüche und Verunsicherungen. Während des Krieges starben auf den britischen Inseln 250.000 Menschen. Machtverhältnisse wurden in Frage gestellt, aber auch alte Glaubensgewissheiten gerieten ins Wanken. Insofern wundert es nicht, dass viele Zeitgenossen sich in einer Zeitenwende oder gar einer Endzeit (Eschatologie) wähnten. In Erwartung an die nahe Wiederkunft Jesu Christi, einschließlich des Jüngsten Gerichtes. So z.B. die Fifth Monarchy Men, die die Aufrichtung einer „Herrschaft der Heiligen“ zur Vorbereitung der Wiederkunft Christi, anstrebten. Die Gruppe brachte das bevorstehende Jahr 1666 mit der apokalyptischen Zahl in Verbindung.
Natürlich interpretierten die Menschen damals die Situation auch unterschiedlich und zogen daraus unterschiedliche Schlüsse. Es gab viele meinungsstarke und charismatische Persönlichkeiten, die eine Anhängerschaften um sich scharten. All diese Gruppen, die nicht den Katholiken, den Puritaner oder der Anglikanischen Kirche zuzuordnen waren, werden als Dissenter zusammengefasst.
Der Anfang der Quäker-Bewegung
Als 1649 George Fox, einer der frühen Freunde (Quäker), begann öffentlich zu predigen, vertrat er Ideen, die sich so oder so ähnlich, schon zuvor in anderen Dissenter-Gruppen finden lassen. Nichts von dem war wirklich originär. Hier ein paar Beisiele:
Puritaner betonten die Wichtigkeit der Moralistische Haltung; Die Seekers hielten ihre Gottesdienste in Stille und warteten auf Offenbarungen Gottes; Es gab Gruppen die "enthusiast" genanntwurden, und bekannt waren als Aufrührer und Anstachler; Die Familisten sahen das Wesen der Religion in der Liebe. Auch ihnen waren Zeremonien oder Glaubenssätze gleichgültig; die Levellers sahen sich nicht nur als Glaubensgemeinschaft sondern auch als soziale und politischen Bewegung; Die Diggers oder auch True Levellers, waren noch radikaler und wollten jegliche Hierarchien abschaffen.
All diese Gruppen gibt es heute nicht mehr. Viele ihrer Mitlieder sind irgendwann zu den Quäkern übergetreten, die es ja bekanntlich noch heute gibt. Woran liegt das? Auch bei den Quäkern gab es innere und äußere Konflikte, die die noch junge Gemeinschaft drohten zu zerreißen. Innerhalb der Gemeinschaft gab es zu Anfang keine Strukturen oder Regeln. Man brauchte aber ein effizientes Netzwerk, um sich gegen äußerliche Angriffe zu verteidigen, Gerichtsprozesse zu bestreiten und politische Kampanien durchführen zu können. Und man brauchte Regeln damit das Gemeindeleben nicht im Chaos versank. So war z.B. das Heiraten immer wieder ein Problem. Die frühen Freunde (Quäker) lehnten einen Klerus kategorisch ab und heirateten durch die bloße gegenseitige Beteuerung der Ehepartner. Das führte aber offenbar immer wieder zu leichtfertigen Hochzeiten, die in unglücklichen Ehen endeten. George Fox sah diese Defizite und wollte dem Abhilfe schaffen.
Die Konstitution der Quäker
So reiste George Fox 1666 durch das ganze Land und gründete Monats-, Viertel- und Jahres-Versammlungen. Diese gaben sich dann Regeln und Strukturen, um Regeln durchzusetzen. Es entstand das book of discipline als Richtlinie und Ämter wie den Ältesten, den (beauftragten) Lehrer und den (Saal-)Aufseher, um die Verantwortlichkeiten zu klären. Diese Strukturen waren offenbar ein guter Kompromiss zwischen Flexibilität und Effizienz und bewährten sich zunächst auf den britischen Inseln und später in Nordamerika. Im 17. und 18. erstarrten diese Regeln zunehmendes und wurden dann zu einem entgegengesetzten Problem. Das ist aber eine andere Geschichte und soll ein anderen mal erzählt werden.
1671 reise Fox durch Kontinentaleuropa um Mennoniten, Labadisten und andere christliche Splittergruppen für seine Lehre zu gewinnen, mit sehr gemischten Erfolg. 1676 formulierte Robert Barclay in der Apologie die theologischen Grundsätze der frühen Freunde (Quäker) erstmalig auf akademischem Niveau. Dies war wichtig, um sich nach Ausßen abzugrenzen und auszudifferenzieren, aber auch um nach innen Einigung zu schaffen. Die Apologie wurde von den frühen Freunde als so wichtig betrachtet, dass sie 1684 auch ins Deutsche übersetzt wurde und als Missionsschrift diente. Ob und welche Bücher dann der englische Quäker Stephan Crisp 1678 während seiner Missionsreise in Krefeld dabei hatte, um dort eine erste Gruppe zu gründen, ist mir nicht bekannt.
Schüsse aus der Betrachtung
Zurück zum Ausgangsthema: Mein Eindruck ist schon, dass wir in einer Zeitenwende leben. Und ich erlebe sie wahrscheinlich als genauso krisenhaft, wie die frühen Freunde ihre Zeit damals erlebt haben. Jedoch habe ich keine unmittelbare Erwartung der nahen Wiederkunft Christi mit einem jüngsten Gericht, so wie es in der Offenbarung des Johannes zu lesen ist, und seinerzeit sehr präsent in den Vorstellungen der Menschen war. Ich denke aber schon, dass wenn wir jetzt nicht schnell handeln, wir die Hölle auf Erden erleben werden, und das nicht nur in den fernen Winkeln der Welt, sondern auch bei uns.
Wie damals ist es auch heute wieder nicht leicht, seine Mut nicht zu verlieren und weiter gegen die fast unabwendbare Katastrophe anzukämpfen. Die Propheten der Apokalypse von damals sind die Wissenschaftler und Umweltaktivisten von heute. Es ist immer eine schlechte Idee, die Überbringer der schlechten Nachricht umzubringen und den Kopf in den Sand zu stecken. Vielleicht bedürfen wir noch nicht mal einer prophetischen Ermahnung, weil die Stimme in unserem Inneren schon laut genug ist. In der Andacht können wir mit anderen zusammen, den richtigen Umgang, mit den Herausforderungen die an uns herangetragen werden, erforschen, um auf das von Gott zu antworten, wie es in einer Redewendung unter Quäkern oft heißt. Diese Haltung und Erwartung ist der Grund, warum die Stühle in einer Quäker-Andacht nicht zum Altar, zur Kanzel oder zum Tabernakel ausgerichtet sondern, im Kreis angeordnet sind.