"Über das Reich Gottes" [update16.4.08]
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Erstveröffentlichung: 12.02.2008
Vorbemerkung
Aus “Bemerkungen über verschiedene Gegenstände des Christentums”. Von Ludwig Seebohm, 1794. Zu finden in “Deutsche Quäkerschriften des 18.Jahrhunderts” (ISBN 978-3-487-13408-5). Ich habe die eigentümliche alte Art der Ausdrucksweise nicht geglättet.
Ludwig Seebohm finde ich eigentlich nicht so spannend, aber dieser Abschnitt ist eine Ausnahme. Claus Bernet wies mich schon vor einigen Monaten darauf hin. Jetzt hab ich ihn mal abgetippt. Ich denke diese Abschnitt macht die verständlich warum Quäker eine andere Sicht auf die Frage der “Rechtfertigung” (siehe auch Wikipedia) und der Erlösung haben.
Mag sein, das die Theologische Auffassung heute nicht mehr “repräsentativ” ist, aber sie ist nach wie vor einmal Ausgangspunkt gewesen. So das ich denke, das man sich damit mal auseinander gesetzt haben sollte.
Über das Reich Gottes
Die Begriffe, welche sich die Menschen von Reich Gottes machen, sind sehr verschieden. Einige sind sogar der Meinung, das man erst nach dem leiblichen Tode ins Reich Gottes eingehe; dennoch bitten sie täglich: “dein Reich komme,” und verlangen also etwas, das, ihren eigenen Begriffen zufolge, unmöglich ist. – Wir wollenuns bei den mannigfaltigen und sonderbaren Einbildungen der Menschen nicht aufhalten, und hier nur drei nötige Bemerkungen machen.
- Was das Reich Gottes ist.
- Wo es ist, und wie es sich offenbart.
- Wie man dazu gelangt.
Um nun desto besser zu verstehen, was das Reich Gottes ist, und worin es bestehet; so will ich einige Zeugnisse der Schrift anführen, die uns zugleich anzeigen, was es nicht ist, und worin es nicht besteht.
Christus sagt: “Mein Reich ist nicht von dieser Welt;” [1] und sein Apostel lehrt: “Das Reich Gottes besteht nicht in Worte, sondern in der Kraft.” [2] Und ferner: “Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, und Friede, und Freude im heiligen Geist. Denn wer hierin Christo dient, der ist Gott angenehm und den Menschen bewährt."[3]
So ist dann das Reich Christi kein irdisches, sondern ein geistiges Reich, das nicht in Worten, – also auch nicht in Schriftwort, und noch weniger in hohen Ausdrücken menschlicher Weisheit, – noch in äußern Beobachtungen, als Essen, Trinken, u.d. gl. sondern in der kraft, – nämlich in der kraft Christi, welche die Sünde überwindet, – in Ausübung der Gerechtigkeit, in Friede, und in Freude im heiligen Geist bestehet. Und da nun der, welcher hierin Christo dienet, das heißt, der Regierung seines Geistes darin Untertan und gehorsam ist, und einen aufrichtigen, rechtschaffenen, und gerechten Lebenswandel führt, Gott angenehm und den Menschen bewährt ist; so ist also das Reich Gottes nichts anders als: die Herrschaft und Regierung des Geistes Christi.
Demnach leben also die, welche in der kraft Christi wandeln, im Reich Gottes; denn alle, die von seinem Geiste in dem Wege der Gerechtigkeit regiert werden, sind Untertanen im Reich Christi; so wie die, welche nicht in seiner überwindenden kraft leben, und sich nicht von seinem Geist beherrschen lassen, keine Untertanen Christi und außer dem Reich Gottes sind, sie mögen übrigens auch bekennen und vorgeben was sie wollen.
Die zweite Bemerkung, “wo”, und “wie” das “Reich Gottes sich offenbart”, ergibt sich nun schon zum Teil von selbst. Denn da die Herrschaft und Regierung des Geistes Christi im Herzen des Menschen ihren Anfang nimmt, und sich über alle Neigungen und Bewegungen seines Gemütes erstreckt; so ist es nicht schwer, einzusehen, wo das Reich Gottes zu suchen ist. Allein zur besseren Erläuterung dieses wichtigen Gegenstandes, wollen wir noch ein und anderes anmerken.
In dem Gleichnis vom Säeman zeigt Christus, das ein Same des Reichs, woraus das Reich Gottes gleichsam hervor wachsen muss, in allen Menschenherzen liegt [4] Und als die mit ihren äußeren Beobachtungen prahlenden Pharisäer ihn um das Reich Gottes befragen, gab er ihnen deutlich zu verstehen, daß dasjenige, wonach sie forschten, nichts Äußeres sei; indem er zu ihnen sagte: “Das Reich Gottes kommt nicht mit (oder durch) Beobachtung. Siehe da! Denn siehe, das Reich Gottes ist inwendig in euch”[5]
Die Pharisäer waren eine jüdische Sekte, die zwar eine große Hochachtung für das Gesetz und die heilige Schrift bezeugten, allein in Umsetzung der Auslegung derselben, und der Art, wie man ihnen folgen müsse, sich vorzüglich auf überlieferte Nachrichten verließ. Die belasteten nicht nur die Menschen mit einer Menge äußerer Satzungen und Beobachtungen, wodurch ihre Gemüter von den wichtigsten Stützen des Gesetzes abgezogen wurden, und die sie verleiteten, sich ihrer strengen Beobachtungen wegen eine eigene Heiligkeit und wohlgefälligkeit bei Gott einzubilden; sondern widersetzten sich auch Christo, der ihre leeren Zeremonien und Menschenlehren verwarf und ihnen die Nichtswürdigkeit derselben zeigte, in der Aufrichtung seines inneren Reiches mit der größten Halsstarrigkeit; so daß er auch an einem Ort zu ihnen sagte: “Wehe euch Schriftgelehrten und Pharisäern, ihr Heuchler! weil ihr den Leuten das Himmelreich verschließt; denn ihr geht nicht hinein” [6] Zu diesen widerspenstigen Pharisäern und Heuchlern nun, sagt Christus: “Siehe! Das Reich Gottes ist inwendig in euch;” welches, vergeblich, verglichen mit jenem Gleichnis vom Samen des Reich Gottes, deutlich zeigt: daß sich zwar das Reich Gottes in den Menschen, und zwar auch in dem widerspenstigen und ungläubigen, wie in einem Samen befindet, das aber der Mensch selbst, so lange er diesen göttlichen Samen in sich unterdrückt und nicht aufgehen läßt, das heißt, so lange er der Zucht und Herrschaft des Geistes Christi in seinem Herzen nicht Raum gibt, davon ausgeschlossen bleibt: denn wie wohl das Reich Gottes in jenen Pharisäern war, so hatten sie sich doch selbst – in dem sie ihre überlieferten Lehren den Geboten Gottes vor zogen, – davon ausgeschlossen, und kamen nicht hinein. Und das ist noch der Fall mit allen denen, die ihnen hierin nachfolgen, und – in dem sie, eifrig für die Erhaltung ihrer Zeremonien, ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Außenseite ihrer Religion verwenden, – die geringe Erscheinung des Reich Gottes, worin es sich anfänglich in ihnen offenbaret, übersehen und gering schätzen; so wie jenes Geschlecht Christum, als er äußerlich im Fleisch erscheint, wegen seiner, ihren hohen Erwartungen nicht entsprechenden geringen Gestalt, verachten und verwerfen.
Denn das Reich Gottes nimmt einen geringen Anfang im Menschen; weshalb es auch Christus einem Senfkorn vergleicht, welches ein ganz kleiner Samen ist, der aber, wenn er aufgeht und heranwächst, zur großen Staude wird[7], das heißt: im Anfang scheinen, wegen der großen Abgeneigtheit und Verdorbenheit unserer Natur und Finsternis unserer Herzen, die Offenbarungen, Erinnerungen, und Bewegungen des Geistes nur schwach, der Schein des Lichts klein, die Erscheinung und Belehrung der Gnade gering zu sein; wenn wir aber fleißig darauf achten, und der Überzeugung dieses göttlichen Grundwesens: “das Böse zu meiden und abzulegen, und das Gute zu tun,” folgen; so machen wir dem guten Samen Raum, das er in uns hervor keimen, wachsen, und nach und nach zu einer großen Staude werden kann, oder: dadurch, daß wir die bösen Dinge und Gewohnheiten, die den Schein des Lichtes Christi in unsern Herzen aufhalten, hinwegräummen und keine andere an ihre Stelle kommen lassen, geben wir ihm Freiheit, daß es seinen Schein vermehren, ausbreiten, und also die Erscheinung und Belehrung der Gnade immer klarer und deutlicher werden kann; und auf die Art gewinnt der Geist Christi die Oberherrschaft in uns, welches dann Aufrichtung des Reichs Gottes ist.
Dies gibt uns nun auch zugleich die Anweisung: wie wir dazu gelangen und Erben eines unvergänglichen Reiches werden können. Denn der Wachstum dieses göttlichen Samens, Lichts und Geistes, oder dieser innere Gnade, ist eben jene Geburt aus dem Geist, oder jene neue Geburt, ohne welche niemand ins Reich Gottes kommen kann[8].
Folgen wir der Gnade, und lassen ihr die Oberherrschaft in uns gewinnen, so verändert sie unsere Naturen, wie ein wenig Sauerteig nach und nach den ganzen Teig durchsäuert; so daß das Böse, welches uns zuvor eine Lust war, uns nun eine Last und Ekel, und das Gute, das uns vorher beschwerlich war, je zu vollbringen unmöglich schien, uns nur angenehm und leicht wird. Wir finden dann weit mehr Vergnügen an Tugend und Wohltun, freuen uns weit mehr der Wahrheit und Gerechtigkeit, und haben die Beschäftigung mit geistlichen Dingen und den Umgang mit den aufrichtigen – wie wohl von der Welt verachtet – Nachfolge Christi viel lieber, als wir je zuvor die Welt und ihre eitlen Dinge liebten, und Vergnügen an der Sünde hatten. Und diese Veränderung unserer Naturen ist die Frucht einer Geburt von oben, ein sicheres Kennzeichen, daß wir aus dem Tode ins Leben gekommen, und nach unserm Maß in das Reich des geliebten Sohnes Gottes versetzt sind[9], welches nicht in äußern Beobachtungen und leeren Worten, sondern in Gerechtigkeit, in Friede, und in Freude im heiligen Geist bestehet, und dessen Wachstum und Ausbreitung von allen wahren Christen, vor allen anderen Dingen in der Welt, zuerst gesucht wird.
- [1] Johannes 18,36.
- [2] 1.Korinther 4,20
- [3] Römer 14,17+18
- [4] Lukas 8
- [5] Lukas 17,20+21
- [6] Matthäus 23,13
- [7] Matthäus 13,31
- [8] Johannes 3,5
- [9] Johannis 3,14
[update]
Eine gute Ergänzung ist vielleicht noch der Artikel “Reich Gottes” in Wikepedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Reich_Gottes
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