"Wachsen aus den Wurzeln" - Überlegungen bei den Mennoniten [update23.9.08]
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Erstveröffentlichung: Mo, 15/09/2008 - 13:11 — OlafRadicke
In der Verbandszeitung der Mennoniten 3/2008 (Juli-Oktober) Seiten 1 bis 4, steht ein Beitrag, den ich sehr lesenwert fand. Er lautet „Wachsen aus den Wurzeln - Unsere Geschichte weiter erzählen“ [1] von Wolfgang Krauß. Er stellt einige Überlegungen an, die auch auf das Quäkertum in Deutschland übertragbar sind. Deshalb empfehle ich, seinen Artikel zu lesen.
Ich fasse die für mich wichtigen Punkte zusammen. Andere mögen andere Punkte herausheben.
- Die Mennoniten beobachten eine allgemeine „Abwärtsspirale“ in der Gemeindeentwicklung.
- Als Ursache macht Wolfgang Krauß ein „tiefgreifendes Identitätsdefizit“ aus
- Vor oder parallel zum Engagement für die Verbesserung der Gemeindeentwicklung, muss die eigene Identitätsfrage geklärt werden. Vier Fragen stellt er in den Raum:
- Wer sind wir als Gemeinde?
- Warum gibt es uns (noch)?
- Was ist unsere Aufgabe?
- Würde etwas Wesentliches fehlen, wenn es uns nicht mehr gäbe?
- Als eine der Ursachen der heutigen Identitätskrise macht er die eigene – bald 500-jährige – Geschichte aus und schreibt u. a.: „Pointiert gesagt leiden unsere Gemeinden an einer **historischen Krankheit**. Schon die oft verwendete Bezeichnung ‚historische Friedenskirche’ scheint ein Symptom. Ich beobachte zudem eine seltsame Spannung zwischen Geschichtsbesessenheit und Geschichtsvergessenheit.“
- Die Heilung dieser „historischen Krankheit“ sieht Wolfgang Krauß in der Erarbeitung eines gesunden Verhältnisses zur Geschichte und in der „[...] Suche nach einer uns angemessenen Identität und einer Vision für die Zukunft unserer Gemeinden.“
- Eine weitere Ursache der Identitätskrise sieht er in der nicht aufgearbeiteten Diskriminierungserfahrung und der Anpassung an ein bürgerliches Leben: „Schließlich setzte der Verzicht auf die ursprüngliche Radikalität Kräfte frei für den oft gerühmten wirtschaftlichen Erfolg als Kaufleute, Fabrikanten und Musterlandwirte. Die Anpassung an die Spielregeln des Zeitalters repressiver Toleranz formte eine konfessionelle Identität der 'Stillen im Land', die auch nach dem Wegfall der rechtlichen Beschränkungen nicht in der Lage war, eine neue außengerichtete, die Radikalität der Frühzeit aktualisierende Identität zu entwickeln. Zu stark war das durch Wohlstand und den Willen zur Einordnung in die bürgerliche Gesellschaft geprägte Interesse, [...] als Kirche wie andere Kirchen sein zu wollen. [...] Dem Trauma der Verfolgung, folgte das Trauma erzwungener Anpassung [...].“
- Zur ursprünglichen Radikalität der Mennoniten schreibt er: „Wir nehmen Teil an der Geschichte des Gottesvolkes, das aufbricht zu einer neuen Welt, einer neuen Menschheit und einer neuen Schöpfung. Kleiner ist die Vision, die auch den täuferischen Aufbruch bestimmte, nicht zu haben“, und gibt damit seine Antwort auf die Frage nach einer neuen Vision für die Gemeinde.
- Dass Wolfgang Krauß in seiner Vision keine linientreue Gemeinde vorschwebt, die mit einer Stimme spricht, wird im Laufe seines Textes deutlich, wenn er schreibt: „Es kann dem kollektiven therapeutischen Effekt nur dienen, wenn in der Erzählung verschiedene Traditionslinien und Interpretationen zu Wort kommen. Aus vielstimmigem Gemurmel werden Auftrag und Vision neu formuliert. Wir werden noch gebraucht. Denn es braucht eine Gemeinschaft, die die Geschichte weitererzählt. Die Geschichte einer Gemeinde, die zur Umkehr ruft in die Nachfolge Jesu. Einer Gemeinde, die sich nicht anpasst an die Zwangsstrukturen von Gesellschaft und Staat. Einer Gemeinschaft, die sich unterscheidet, indem sie Gottes Angebot der Liebe – selbst zum Feind – deutlich macht und es lebt. Einer Gemeinde, die in der Nachfolge ihres Herrn lieber freiwillig Leiden auf sich nimmt, als wünschenswerte Entwicklungen mit Gewalt zu erzwingen.“
- Am Ende des Artikels macht Wolfgang Krauß ganz konkrete Vorschläge und nennt fünf Möglichkeiten, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen. Die Idee der „lokalen Geschichtswerkstatt“ gefiel mir am besten. Er schlägt vor, sich damit nach außen zu öffnen und gemeinsam mit der Gemeinde und mit interessierten Außenstehenden gemeinsam die Geschichte zu erforschen.
[update23.9.08]
Der obige Text wurde von Wilhelm Prasse[2] auf Rechtschreibfehler geprüft und korrigiert. Herzlichen Dank.
Quellen/Links
- [1] Verbandszeitung der Mennoniten 3/2008, http://www.mennonitisch.de/fileadmin/verbandszeitung/VZ_3_2008.pdf
- [2] Weblog von Wilhelm Prasse http://www.wilhelmprasse.de
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