Die "Cary-Vorlesung" von Eberhard E. Küttner 2009
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So, dieses Jahr wurde zum ersten mal die Cary-Vorlesung als “Sonderheft” des “Quäker” verschickt. Das Bedeutet, das der Text keine eigene ISBN hat und somit der potenzielle Leserkreis sehr eingeschränkt sein dürfte. Was sehr schade ist. Hat sich doch Eberhard sichtlich Mühe gegeben und ein 50-Seiten-Werk abgeliefert.
Das Heft aus dem Jahr 2006, war nicht mal halb so dick. Das Heft läuft unter der ISSN 1619-0394. Rein äußerlich ist das Heft gewohnt langweilig monochrom Weinrot. Als Schriftart wurde eine mit Serife ausgewählt. Im Jahr 2006 war es eine serifenlose Schrift. Die Seitenzahl ist von Unten Mitte noch oben Mitte verlegt worden. Die Seitenränder die mit 15mm schon im Jahr 2006 mehr als knapp war, wurde nun auf groteske 9mm reduziert. Vermutlich um die Gesamtseitenzahl zu verringern und Geld zu sparen. Der Titel lautet “Religiosität - Die Suche nach der Einheit in der Vielfalt”
Hier ein paar Gedanken die mir beim lesen kamen…
Im 1. Abschnitt gibt Eberhard ein Einblick in seine Kindheit und die erlebten Konflikte zwischen Katholiken, Protestanten und Kommunisten in seiner Familie. Da ist mir schon mal klar geworden, das ich eine ganz andere Generation bin. Meine Kindheit war geprägt von Agnostizismus, Artheismus, Säkularität und Toleranz. Ich habe den Faschismus und die DDR nicht erlebt (letztere jedenfalls nicht als ihr Bürger). Zu seinem Glauben schreibt er: “So ist Glaube für mich auch das zuversichtliche Abwarten des Laufs aller Dinge, das Wissen um mein Einssein mit der kosmischen Ordnung. Diese grundsätzliche und endgültige Geborgenheit im göttlichen Geist endet nach meiner […] Erfahrung […] auch dort nicht, wo Not, Leid, Schmerz und Tod uns schwere Last auferlegt." Das klingt für mich sehr breiig, esoterisch und beliebig. Rührt aber wahrscheinlich auch wieder aus unterschiedlichen Erfahrungen her.
Im 2. Abschnitt “Die Frage nach der Wahrheit in der Religion…” Kommt der Satz “Gegenwärtig wird ein ‘Kulturkampf’ zwischen der westlichen und der islamischen Welt beschworen, […]" Ich hab mich gefragt, ob er die beiden Gegenpole nicht hätte konkretisieren können. Steht die “westliche Welt” für ihn für die Säkularität oder für das Christentum? Ich erlebe die säkulare Welt nicht unbedingt als die friedlichere an. Im Unterabschnitt 2.2, dem die Nummer - die im Inhaltsverzeichnis noch auftaucht - abhanden gekommen ist, schreibt Eberhard “Ich denke, man wird so lange Religion für politische Zwecke missbrauchen können, wie man den Menschen glaubhaft machen [..] kann, es gäbe ‘richtige’ und ‘falsche’ Religionen." Ach, auch säkulare Überzeugungen können zu Gewalt führen. Ich würde vorschlagen einfach mal ein Fußballspiel zwischen den Vereinen FC St. Pauli und F.C. Hansa Rostock zu besuchen! Nicht das beharren auf das ‘Recht’ oder das ‘Recht haben’ ist das Problem, sondern das beharren auf das ‘Recht auf Gewalt’, ist das Problem!
Weiter Unten bemüht sich Eberhard im selben Abschnitt um eine Definition für ‘Religion’: “Unter ‘Religion’ verstehen wir zunächst die lebendige spirituelle und innerliche verpflichtende Beziehung des Menschen zu der transzendenten Macht über allem Sein. In diesem Sinne gibt es eigendlich nur eine Religion, […] Diese ist sozusagen die ‘Religion hinter allen Religionen’, […]" Dieser Definition stimme ich nicht überein. Ich würde sagen: Religion ist der Glaube an eine - wie auch immer geartete - Möglichkeit einer Erlösung. Eine Weltbild das keine Form der Erlösung beinhaltet, ist eine Philosophie. Diese beiden unterschiedlichen Definitionen bzw. Auffassungen machen es mir nun im Weiteren schwierig, Anknüpfungspunkte zu finden in dem Text von Eberhard. Mein Ausgangspunkt ist immer die Frage nach der Erlösung. Denn mit imaginären Freunden zu sprechen, also z.B. das anbeten von Gott, Maria oder Buddha, (ob man es nun umschreibt mit “verpflichtende Beziehung des Menschen zu der transzendenten Macht” oder nicht) macht noch keine Religion aus! Auch kleine Kinder haben ab und an mal ‘unsichtbare Freunde’ und auch meine Klienten, mit denen ich beruflich zu tun habe, haben gelegentlich Kontakt zu ‘unsichtbaren Außerirdischen’ mit denen sie telpatieren. Alles keine Merkmale für eine Religion…
Im Abschnitt 2.3 (auch hier wurde die Nummer in der Überschrift vergessen) beschäftigt sich Eberhard mit der Frage nach der ‘Wahrheit’. Zunächst erklärt er auf Seite 14 den Wissenschaftlichen Begriff der ‘Wahrheit’: ”[…] Also können nicht zwei einander widersprechende Aussagen zugleich wahr sein." Ein Absatz darauf folgt die Darstellung der Gedanken von Gustav Mensching: “Ein solchen Wahrheitsbegriff, wie er in der Wissenschaft angewandt wird, ist so stellt Mensching fest, für die Bewertung von Glaubensaussagen untauglich, denn dieses sind der wissenschaftlichen Erkenntnis ebenso unzugänglich wie vergleichsweise die Seele dem Seziermesser." Ja, ich stimme dem zu, das die ‘Wahrheit’ im religiösen Dingen nicht oder nur bedingt logisch wissenschaftlich nachweisbar ist. ABER das hebt nicht das Problem auf, das sich ‘religiöse Wahrheiten’ zum Teil gegenseitig ausschließen. Das wird recht schnell deutlich, wenn wir und von der Theoretisch-Abstrakten-Elfenbeinturm-Ebene herab begeben, in die harte Realität! Ganz konkret bin ich von der Wahrheit überzeugt, das alle Menschen gleich sind. Egal ob Mann oder Frau; schwarz oder weis; gläubig oder ungläubig… Im Islam ist das nicht so. Dort gälten für Frauen und Männer andere Regeln; für ‘Schriftbesitzer’ und ’nicht Schriftbesitzer’; für Sklaven und für Freie usw… Diese beiden Wahrheiten schließen sich gegeneinander aus. Es kann nur eine von beiden richtig sein. Ich bin überzeugt das Leute, die Andere ungleich behandeln, ihrer Erlösung gefährden oder gar unmöglich machen. Aber ich werde ihnen nicht den Schädel dafür spalten. Weil ich kein Recht dazu habe. Auch das ist meine religiöse Überzeugung, die ich nicht wissenschaftlich beweisen kann.
Auf Seite 16 führt Eberhard ein Beispiel an, das zeigen soll das religiöse Wahrheiten nebeneinander bestehen können: “Lebt beispielsweise ein gläubiger Christ aus der persönlichen Begegnung mit dem auferstandenen Christus, in welchen Gott Mensch geworden ist, dann ist dessen Göttlichkeit für diesen Christen ebenso erlebte Wirklichkeit und folglich persönliche Gewissheit, wie es für einen gläubigen Muslim eine erlebte Wirklichkeit und damit persönliche Gewissheit ist, daß Jesus nicht Gott sein kann. Diese beiden subjektiven erfahrbaren Wirklichkeiten schließen aber einander nicht aus, wie objektive (und also wissenschaftlich nachprüfbare) Tatsachen es täten, wenn sie einander widersprächen, sondern sie können sehr wohl gleichwertig nebeneinander stehen." Dieses Beispiel hat keine lebenspraktische Relevanz. Ich - für mich - würde sogar sagen: Es ist nicht mal ‘heilsrelevant’. Schwierig wird es, wenn zwei gegenseitige Ansprüche auf einander Prallen, die theologisch begründet werden (müssen). Also bei lebenspraktischen Berührungspunkten. Gutes Beispiel ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Selbige betrachtet die islamische welt als unannehmbar und macht ein Gegenentwurf in Form der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam. So, jetzt haben wir ein Problem!
Auf Grund der verschiedenden Ansätze wird es für mich zunehmend schwieriger dem Text zu folgen. So z.B. wenn Eberhard folgert: “Der erste und entscheidende Schritt auf dem Wege zur Interreligiosität muss die Akzeptanz des Selbstverständnisses des anderen sein." Nein. Für mich ist der erste und entscheidende Schritt auf dem Wege zur Interreligiosität, der bedingungslose Verzicht auf Gewalt! Völlig banal, aber trotzdem scheinbar eine Unmöglichkeit, wenn man sich die Welt ansieht.
So ich überspringe jetzt etliche Seiten und mache bei 4. “Die Frage nach der Religiösen Gesellschaft der Freunde im XXI. Jahrhundert” (Seite 44) weiter. Dort wirft Eberhard die Frage auf: “Worin besteht unsere Existenzberechtigung für das XXI. Jahrhundert?". Ab Seite 47 breitet er dann seine Vision von der Zukunft der Quaker in Deutschland (oder der ganzen Welt?) aus. So schreibt er: “Ich sehe uns als eine Gemeinschaft, die keine theologische Definition braucht, um sich von anderen Kirchen und Gruppen zu unterscheiden und um die eigene Existenzberechtigung nach innen und nach außen zu begründen, sondern die sich allein durch das, was die Freunde tun und wie in dieser Welt sie leben und wirken, praktisch definiert." Das ist mir zu dünn. Was tun den Quaker, was Andere nicht tun? Wir Essen wie Millionen andere auch. Wir kacken wie Millionen andere Auch. Wir schweigen in der Andacht, wie es Millionen von Buddhisten auch tun. Wir entscheiden einmütig, wie es andere auch tun. Wir üben die gleichen Berufe aus, wie Millionen Andere auch. Wie spenden Geld für die gleichen Dinge, wie Millionen Andere Menschen. Wie verweigern den Wehrdienst wie viele Andere Zeugen Jehova und Mennoniten auch. Es gibt nichts von dem was wir tun, was uns von Anderen unterscheidet. Das Wort ‘Quaker’ ist überflüssig, wenn es etwas bezeichnet, was auch anders heißen könnte.
Wenn Eberhard aber damit eigendlich sagen wollte, das wir als Gruppe Dinge gemeinsam machen, und wir und darüber als Gruppe definieren, dan möchte ich fragen: Ja was machen denn die Quaker schon großartig gemeinsam? Ein mal in Jahr gibt es eine Famielenfreizeit und ein mal im Jahr eine Jahresversammlung, die sich Äußerlich kaum von einer Famielenfreizeit unterscheidet. Die meiste Zeit des Jahres haben Quaker nichts mit einander zu tun! Selbst wenn sie - wie in Berlin - einen Andachtskreis in ihrer Stadt haben, gehen die wenigsten regelmäßig oder überhaupt hin. Wir haben hier in Deutschland de facto ein Absentisten-Quakertum. Die meisten Besucher in Berlin sind noch nicht mal Mitglieder.
Als weiteren Punkt nennt Eberhard “Ich sehe uns als eine Gemeinschaft von Menschen, die sich ihrer religiösen Herkunft bewusst sind und in ihrer Tradition auch verwurzelt bleiben möchte, […]" Gut, wenn wir uns dann aber “Literaturliste” auf Seite 49-50 ansehen, fällt auf, das nur 7 von 34 Titeln Quakerliteratur sind. Und hierunter einige die ’nur’ Sekundärliteratur sind bzw. doppelt (so z.B. [29] und [24]. Das Zitat von [29] kommt am Ende von 1.02 in dem Werk [24] (“Quäker - Glauben und Wirken”) drinnen vor.)
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