Persönliche Eindrücke vom 14 Stunden Kirchentag
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Für mich ging der Tag schon früh um 8 Uhr los. Ich war bei den Mennoiten in der Simeonsgemeinde zum Frühstück und zu deren Gottesdienst. Ich habe eine mutige Predigt gehört, von deren Predigerin Anna Janzen. Sie zeigte auf, dass das frühe Christentum, bevor es Staatsreligion wurde, sehr pluralistisch war. Gerade dass es mehr als nur ein Evangelium gibt, wertete sie als Indiz für diesen Pluralismus. Mutig fand ich die Aussage von ihr, dass sie Paulus als intolerant empfindet und nicht im Einklang mit dem Geist des Evangeliums.
Ich vermute mal, dass die Predigt nicht von ungefähr kam und dass es auch unter den Mennoniten immer wieder und vielleicht auch gerade sehr aktuell, ein Ringen um die eigene Identität und den Stellenwert der Bibel und der Autorität der man ihr zugesteht gibt. Ich selber bin ja als Quaker nur (mehr oder weniger häufiger) Gast dort. Verschiedenen Andeutungen veranlassen mich aber zu der Spekulation, dass es im Vorfeld des ÖKT 2010 es scheinbar Meinungsverschiedenheiten unter den Mennoniten gab, wie man sich auf dem ÖKT präsentieren wolle.
Das Thema Mennoiten begegnete mir dann später in der Fußgängerzone noch mal. Ich unterhielt mich mit einem ÖKT-Besucher über die verschiedenen Flügel des Quakertums. Als ich die Besonderheiten des evangelikalen Quakertum erläuterte, machte mich mein Gesprächspartner darauf aufmerksam, das sich die evangelikalen Quaker dann scheinbar den Mennoniten sehr stark angenähert hätten. Darüber kam ich dann ins stocken. Und tatsächlich, bei näherer Überlegung musste ich ihm tatsächlich recht geben. Man hätte noch einwenden können, das Quaker mit den Mennoniten das Friedenszeugnis, das ablehnen des Eds, und wenn man an die Amischen denk, in gewisser Hinsicht auch die Einfachheit gemeinsam haben, aber das die Gleichheit nicht gegeben sei, da die Mennoniten gerade mal erst seid 100 Jahren Frauen predigen lassen. Aber wenn man Fair ist, muss man auch sehen das Organisationen der evangelikalen Quaker wie das FUM (Friends United Meeting) homosexuelle Mitglieder diskriminieren, in dem sie Sie von Ämtern ausschließen. Also ist es bei den evangelikalen auch nicht so weit her mit der Gleichheit.
Aber solche Gespräche waren er selten. Meistens baten mich Touristen, sich mit mir fotografieren zu lassen zu dürfen. Ich hatte ungefähr 80 Flyer in der Tasche. Und von denen hatte ich gerade mal vielleicht 6 Verteilt. Also ich empfand die Stimmung in der Innenstadt lahm. Mag am Wetter gelegen haben, am Wochentag, Vatertag-Kapfsäufer oder den Mißbrauchsskandal… Wo bei ich den Eindruck hatte, die Katholiken waren noch klar die Mehrzahl. Aber es waren wirklich absurde Szenen. Fast überall wo ich vorbei kam, waren riesige Bühnen zu sehen mit kleinen Grüppchen Zuschauer davor. Was wirklich gut angenommen wurde und ein begeistertes Publikum hatte, waren das Kinderprogramm. Die kleinen Zwerge waren so vertieft in ihren Spiel oder beim zuschauen des Kinder-Programms, das sie selbst von so einer ungewöhnlichen Erscheinung wie mir, kaum Notiz nahmen. Ganz anders, wie eine Autofahrerin die auf ein mal vor mir stand und sich so dermaßen erschreckte, das ich dachte, die kipp jetzt gleich hinten über. Ach ja, und dann waren da noch die üblichen penetrant-missionarischen Gruppen, ohne hier konkret einzelne Namen zu nennen. Die standen ohne Schirm im Regen und wahren kaum nass. Die müssen wirklich in halbstundentakt durch rotiert sein. Die waren echt dominant zwischen Stachus und Mariehenplatz. Selbst Scientology stand vor dem Kino "Mathäser Filmpalast". Das Wetter war wirklich ungemütlich, aber wenn strahlender Sonnenschein gewesen wäre, wäre ich höchstwahrscheinlich den Hitzetot in meinen Klamotten gestorben. Aber so, war es für mich noch relativ angenehm. Die Weste war etwas eng, die Hose rutschte, die Tasche mit den Flyer (die ich eigentlich gar nicht brauchte) war schwer und meine Socken musste ich mit Klebeband festkleben, mit sie nicht runter rutschten. Also "Bequem" ist was anderes… Als ich dann viertel vor - wie geplant - zu Quaker-Andacht des GYM eintraf (das war in einem "Turmhaus" - also "Kirche" - der Protestanten, unweit des Messegelände), war ich ziemlich kaputt. Schwer zu sagen, wie viele Besucher da waren. Ich würde mal schätzen 60 bis 90? Der Älteste des Bezirks des GYM bot mir an, Flyer verteilen zu können. Ich vermute mal, er meinte die Flyer der Unabhängigen Quaker München. Sehr großherzig. Allein mit einem Stuhl war ich mehr als glücklich. Der Stuhl war scheiße: Hart, wackelig und nicht zum aufrechten Sitzen geeignet. Aber es war ein Stuhl! Mein Äußeres verfehlte seine Wirkung nicht. Die Mitglieder des GYM blieben aber steif. Offenbar in banger Erwartung was von mir wohl noch kommen möge. Es wurde nur kurz zu Anfang der Andacht, das Wort von den GYMs an die die Besucher gerichtet, in dem sie mit "Sie" angesprochen und begrüßt wurden; kurz die "Heldentaten" der anglomamerikanischen Quaker erwähnt wurden und die deutsche Quaker-Hilfe; dann wurde gesagt, das die "Stille(-Andacht)" 45 Min. dauern würde und "Türsteher" niemanden mehr nach 15 Min. rein lasen würden und das doch bitte alle auf ihre vier Buchstaben sitzenbleiben sollen. Es wurde nicht erklärt warum es keine Liturgie und keine Predigt gibt. Es wurde weder das Inndere Licht noch die vier Zeugnisse erklärt. Noch sonst irgend etwas. Das sollte wohl wieder der Heilige Geist und das Schweigen richten… Aber wo noch drauf hingewiesen wurde war, das wenn man schon Sprächen entscheiden würde, man dann bitte nur kurze Reden solle. Wieder keine Erklärung warum und was "kurz" heiß… Statt "Türsteher" hätte ich die korekte Bezeichung "Overseers" ("Aufseher") bevorzugt. Es kamen dann doch einige Redebeitäge (hier, in nicht chronologischer Reihenfolge…). Die Meisten kamen von GYM-Mitgliedern. Der eine erzählte irgend eine Anekdote die er mal gelesen hatte und mit getragener Stimme; Einer musste wieder mit seiner Fünf-Ton-Flöte trillern; Eine - offensichtlich Nicht-Quakerin - gab den abgedroschenen Johannes 14,6 "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn … Bla-bla…" zum besten um dann eine Minute später auf zu springen und raus zu gehen; Dann gab es noch ein Redebeitrag, in der sich ein GYM-Mitglied fast schon entschuldigte, das die "Stille Andacht" so unstill ist; Dann outete sich noch ein Brite aus London, als Quaker und sagte, das der Geist von George Fox immer in der Andacht vertreten sei und das es ihn besonders freue, das heute mal - quasi in personeller Vertretung - in echt anwesend sei. Damit meinte er mich. Zu dem war er angenehm überrascht, ob der vielen Besucher des Meetings. Ich selber sprach zu den Besuchern, weil ich mich gedrängt fühlte, und erklärte ihnen, das ich schon einige Predigten an dem Tag gehört hätte. Das es für mich aber wichtiger sei, was die Stimme in mir zu meiner Situation zu predigen hat. Ich versucht zu erklären, das diese innere Stimme nicht immer das predigt, was man gerne hören möchte. Das man sich aber dem zu stellen hätte. Man könne die Kirche, die Konfession und den Prediger wechseln, aber vor der Inneren Stimme könne man nicht fliehen. Und wenn man sich dieser inneren Stimme stellte, und man eine Aufgabe übertragen bekommt - die wir Quaker "Anliegen" nennen - die zu groß ist, um sie alleine zu bewältigen, dann teile ich das meiner Versammlung, meinen Glaubensgeschwistern mit. Wenn diese Anliegen dann von den Anderen geprüft wird und einen Widerhall erzeugt, dann entstehen solche wunderbaren Dinge wie die Beteiligung an der Sklavenbefreigung und die Hilfprojekte die in der Einleitung zu Andacht schon genannt wurden. Samar, der auch gekommen war, meinte später, es gab Beschwerden das ich - am Anfang - zu leise gesprochen habe und das ich, mit zwei Minuten Redezeit, am Limit des akzeptablen war. Gegen ende des Meetings hörten wir noch - unfreiwillig aber "andächtig" - dem Telefonat eines Helfers im Nebenraum zu, der besser zu verstehen war, als das knarren unserer Stühle. Auch so war die Geräuschkulisse - na sagen wir mal - "anspruchsvoll". Ich glaube es wäre konsequenter und publikumswirksamer gewesen, die Andacht mitten auf dem Hauptbahnhof abzuhalten. Aber ich vermute da zu würde dann den bürgerlichen Quakertum der Arsch in der Hose fehlen. Leider! Nein, da entschuldigt man sich noch lieber für die Wortbeiträge Andere. Oh-man!! Nach der Andacht gab es dann noch "Fotoshooting", Smalltalk, Händeschütteln und Rausschmiss, weil die nächste Gruppe den Raum schon Brauchte.. Ich war während der Andacht wieder zu Kräften gekommen und hatte nur noch einen Gedanken: Raus aus den Klamotten!
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