Quakertum und Alltagsgewalt
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Ich glaube die meisten Quaker sind - wie ich - es gewöhnt, die immer selben Debatten um Gewaltfreiheit und Wehrdiensverweigerung zu führen. Für Manche ist man ein Spinner, für andere Drückeberger. Es gibt zahllose Bücher und Artikel zu dem Thema. Auch hier in dem Portal gibt es auch schon Einlassungen zu dem Thema. Auch von Nichtquakern. Z.B. von Darius Dziombowski.
Jetzt wurde ich in einer Mail gefragt, wie ich denn im Fall Dominik Brunner, der bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zu Tode kam, gehandelt hätte. Krieg sei ja das Eine, aber eine offensichtliches Gewaltverbrecher ein anderes. Hätte ich nur zugesehen? Wäre ich dazwischen gegangen oder hätte ich gar selber Gewalt angewendet?
Das ist ein rein hypothetische Frage. Ich glaube nicht das man seine (Gewalt-)Einstellung aus einer rein intellektuellen Durchdringung des Themas gewinnt. Ich weiß nicht was ich in dieser Situation getan hätte, aber ich kann sagen welche Erfahrungen ich bisher mit Gewalt gehabt habe, und wie ich in der jeweiligen Situation reagiert habe.
Wie unberechenbar mein eigenes Verhalten ist, habe ich mal wieder festgestellt auf eine Demo letzten Jahres, wo ich versucht habe mit ein paar tausend anderen in München einen Nazi-Aufmarsch zu stoppen. Ich war gerade in einer kleinen Nebenstraße nähe des Hauptbahnhofs. Die Situation war zu dem Zeitpunkt sehr ruhig. Der Verkehr war schon zum erliegen gekommen und die Polizei hatte ihre Ketten errichtet. Auf ein mal - aus dem Nichts - rannten mir ein Block von 30-40 Autonome die Straße entgegen. Ohne nur eine Sekunde nach zu denken nahm ich meine Beine in die Hand und rannte. Ich hechtete in ein Gemüseladen und Trupp rannte an mir vorbei. Den Rest der Demo stellte ich mich zu einer “kampferprobten” Gruppe Gewerkschaftler, die ein wesentlich abgeklärteren Eindruck machten als ich. Die Erfahrung zeit, das es echt nicht so einfach ist sein Herdentrieb zu unterdrücken.
Ich bin aber nicht Pazifist geworden weil ich Quaker geworden bin. Ich bin Quaker geworden weil ich Gewalt für falsch halte. Als ich als junger Mann von der Bundeswehr gezogen werden sollte, habe ich mich der Musterung ein Jahr entzogen. Dann wurde ich zwei mal zwangsgemusster “nach Augenschein” weil ich weigerte zu kooperieren. Ich hatte mich in dem Jahr Flucht innerlich auf den drohenden Freiheitsentzug vorbereitet, trotz gesundheitlicher Probleme. Ich wurde dann ausgemustert. Formal wurde mir nicht gesagt warum.
…Glück gehabt. Aber ich denke ich hätte das sonst durchgezogen. Ich bin schon als Kind sehr loyal und ehrlich gewesen, aber wenn ich etwas als Unrecht betrachtete, stellte ich auf Stur. Ich konnte stundenlang regungslos vor meinem Teller sitzen, wenn ich (damals schon) kein Fleisch essen wollte oder ich mich weigerte den Dreck weg zu machen, den Andere gemacht haben.
Ich war für mein Alter immer schon sehr groß und den meisten Kindern meines Alters körperlich überlegen. Aber ich nutzte es nie aus. Im Gegenteil. Ich wurde oft gehänselt, schikaniert und erpresst. Und ich habe mich nie gewehrt.
Ich weiß ich spreche - als Mann - ein absolutes Tabu an, aber ich wurde von Exbeziehungspartnerinnen schon bespuckt und geschlagen. Wahrscheinlich völlig “unmännlich” so was zu zu geben. Ich selbst bin aber nie handgreiflich geworden. Das ist nichts was ich mir so überlegt habe, sondern etwas was ich tue (oder auch nicht tue), weil etwas in mir das so will. Heute würde ich das “Inneres Licht” oder “Innerer Christus” nennen. Es ist irgend wie stärker, als mein Ego das gekränkt wurde.
Wenn ich mich aufs Fahrrad setze, merke ich mein Ego allerdings sehr stark. Ich habe mir sagen lassen, ich würde sehr aggressiv fahren. Das bestätigt mich aber in meiner Entscheidung kein Führerschein gemacht zu haben. ;-)
Also ich glaube nicht, das ich mich im Fall Dominik Brunner an eine wüste Schlägerei beteiligt hätte. Ich kann aber auch nicht sagen was ich stattdessen getan hätte. Ich denke es ist auch nur eine sehr seltene extrem Situation. In meinen über 10 Jahren, die ich in der Pflege und Assistenz als Heilerziehungspflger gearbeitet habe, bin ich viel öfter mit Gewalt in Kontakt gekommen, als auf der Straße. Das hatte die unterschiedlichsten Formen. Gewalt von Bewohnern gegen Personal. Gewalt von Personal gegen Bewohner. strukturelle Gewalt, institutionelle Gewalt, offene Gewalt und subtile Gewalt. Das war mehr oder weniger Alltag. Die schlimmste Gewalt habe ich in der Altenpflege erlebt. Auch das ist ein Tabubruch - als Mann - zuzugeben, von diesen Gewalterfahrungen traumatisiert zu sein. Es gibt Bilder in meinen Kopf, die werde ich nicht mehr los.
Das war auch ein Grund die Branche zu wechseln. Gewalt macht krank. Opfer wie Zeugen oder Täter. Ich glaube, man kann nur eine begrenzte Menge Gewalt ertragen. Klar, ich habe schon oft im Leben geglaubt, meine Grenze erreicht zu haben und es ging dann doch noch ein gut Stück weiter. Ich merke aber unter anderem an meinen bitter schwarzen Zynismus, das es Zeit war aus zu steigen. Wer sich aber berufen fühlt, etwas gegen Gewalt unternehmen zu wollen, sollte prüfen ob das Altersheim in seiner Nachbarschaft ein lohnenswertes Betätigungsfeld ist.
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